Ronny Delrue
Für Ronny Delrue ist Zeichnen nicht nur ein Medium, sondern eine Form des Denkens in Bewegung. Seit Jahrzehnten praktiziert er es wie das Führen eines Tagebuchs und sammelt Seiten, auf denen sich Intuitionen, Erinnerungsfragmente und Figurenhypothesen niederlassen. Seine Köpfe, oft auf eine Kontur reduziert und manchmal durch pastose Schichten verdichtet, sind weder Porträts noch Selbstporträts; sie bewohnen jenes Dazwischen, in dem das Bild zum Ort einer allgemeinen menschlichen Präsenz wird — fragil, schwankend. Die Serien entstehen durch Überarbeitungen, Pentimenti und Auslöschungen, die die Spuren des Prozesses offen sichtbar lassen; das Material — Graphit, Kohle, Farbe — wirkt wie ein Seismograph der Aufmerksamkeit und bringt Emotionen an die Oberfläche, ohne sie abzubilden. Diese tägliche Praxis verwebt das Intime und das Archetypische, die Erinnerung und das Mögliche, und verleiht dem Akt des Zeichnens den Wert einer mentalen Erfahrung. Delrue sucht nicht nach Ähnlichkeit; er untersucht, wie ein Bild entsteht, sich verändert und neu organisiert und wie der Gedanke, im Reiben über das Papier, zu seiner Form findet. In dieser Beharrlichkeit wird das Zeichnen zu einem Labor, in dem jeder Versuch in den nächsten übergeht und in dem Sehen vor allem bedeutet, das zu befragen, was jenseits des Sichtbaren liegt.
Ronny Delrue ist ein belgischer Künstler, 1957 in Heestert geboren, der in Gent lebt und arbeitet. Als Zeichner, Maler und Bildhauer versteht er das Zeichnen als eine tägliche, introspektive Praxis, die Erinnerung, Vergessen sowie das Auftauchen und Verschwinden von Gedanken untersucht. Sein vielfältiges Werk — Zeichnungen, Gemälde, Skulpturen, Installationen — reflektiert über die Menschlichkeit, die Zeitlichkeit und die Zerbrechlichkeit des Bewusstseins
